Landwirtschaft: Agrarökosysteme und Bodenfruchtbarkeit

Landwirtschaft: Agrarökosysteme und Bodenfruchtbarkeit
Landwirtschaft: Agrarökosysteme und Bodenfruchtbarkeit
 
Mit dem Anbau von Kulturpflanzen und der Haltung von Nutztieren gelingt es dem Menschen, der Natur mehr Nahrung abzugewinnen als sie ohne sein Zutun hervorbrächte. Der Mensch greift somit steuernd in den Naturhaushalt ein. Doch der wachsende Eingriff durch Technik und Agrochemikalien setzt die ausbalancierten natürlichen Regulationsmechanismen, die ein stabiles und ungestörtes Ökosystem ausmachen, zunehmend außer Kraft.
 
 Agrarlandschaften
 
Wenn wir auf eine Landschaft blicken, sind es vielfältige Elemente die sich zu einem Gesamteindruck verdichten: die Geländegestalt, die Verteilung von Wald, Gehölzgruppen, Hecken, Wasserflächen, Siedlungen, Straßen und Wegen sowie der Äcker und Wiesen. Um die landwirtschaftliche Nutzbarkeit zu erhöhen, hat der Mensch in der Vergangenheit oft massiv in die Landschaft eingegriffen. Wie gravierend solche einseitigen Maßnahmen eine Landschaft verunstalten können, zeigen viele Beispiele der Flurbereinigung in den 1970er-Jahren wie etwa am Kaiserstuhl.
 
Doch auch diese Negativbeispiele haben etwas Gutes: Sie machen die Menschen sensibler für die Vielfalt und Ästhetik einer Landschaft. Vielen ist bewusst geworden, dass ein gewisser Anteil naturnaher Areale und der Erhalt von charakteristischen oder historischen Elementen für das »Sich-heimisch-Fühlen« der Bewohner notwendig ist und viel zur Einzigartigkeit einer Landschaft beiträgt. Die Landwirtschaft ist flächenmäßig meist der größte Nutzer einer Landschaft. In Europa zum Beispiel beträgt der Anteil der Land- und Forstwirtschaft an der Gesamtfläche 77 Prozent. Kultivierte und mehr oder weniger »wilde« Natur treffen hier aufeinander; Ausgrenzung oder Integration »störender« Naturelemente wie Wildkräuter am Ackerrand, Hecken und Feuchtbiotope sind sichtbare Zeichen der Art der Grenzziehung. Je nachdem, wie intensiv Landwirtschaft betrieben wird, zeigt sie sich eher einseitig durch große, von Monokulturen bestandene Ackerflächen oder vielfältig und kleinräumig durch Wiesen, Weiden und Felder mit unterschiedlichen Kulturarten. Diese Ausgestaltung hängt primär von den Gegebenheiten des Klimas und des Bodens in einer Region ab. Weniger offensichtlich, für die langfristige Stabilität des Ökosystems aber womöglich viel folgenschwerer, ist die Art des Umgangs mit den Ressourcen Boden, Wasser und Luft.
 
 Ökosystem Boden
 
Auf einem ungestörten Boden — etwa in einem Wald — wechseln sich im Rhythmus der Jahreszeiten natürliches Wachstum und Blattfall ab. Es entwickelt sich eine stark belebte Humusschicht, die allerdings auf die oberen Zentimeter des Boden beschränkt ist.
 
In einem landwirtschaftlich genutzten Boden wirkt nahezu jede ackerbauliche Maßnahme auf die Faktoren ein, die das Ökosystem Boden regulieren. Der Biomasseaufwuchs auf einem bewirtschafteten Acker ist pro Flächeneinheit deutlich höher als auf unkultiviertem Land. Dies gilt auch für die Wurzelmasse, die bei einigen Kulturpflanzen mengenmäßig sogar den Umfang des oberirdischen Aufwuchses erreicht. Die mit der Ernte entzogenen Nährstoffe ersetzt der Landwirt durch Düngung. Um sie im gesamten durchwurzelten Bodenraum zu verteilen, um den Boden zu lockern und ein feinkrümeliges Saatbett für die Folgekultur bereiten zu können, wird der Boden in der Regel gepflügt. Dies hat zunächst negative Folgen: Das Pflügen zerstört sowohl die für den Wasser- und Lufthaushalt wichtigen Bodenporen als auch die schichtspezifische Bodenmikrofauna. Beides baut sich aber vergleichsweise rasch wieder auf.
 
Den Mikroorganismen stehen mit den Ernte- und Wurzelresten der Vorfrucht, gegebenenfalls auch mit Wirtschaftsdüngern wie Stallmist, frische organische Nährstoff- und Kohlenstoffquellen für ein rasches Populationswachstum zur Verfügung. Die als Mineraldünger gegebenen Nährstoffe sowie die durch Mikroorganismen mineralisierten Nährstoffe werden zeitweise an Bodenpartikel gebunden oder in Mikroorganismen eingebaut, die bald wieder absterben und die Nährstoffe für die Pflanzenwurzeln freisetzen.
 
Bei ausreichender Bodenfeuchte und -temperatur herrscht ein ständiges Binden und Auflösen von Stoffen in chemischen und biologischen Prozessen. An diesen ist auch die Pflanzenwurzel aktiv durch die Aufnahme und Abgabe von Stoffen beteiligt. Entgegen der früheren Ansicht, die Pflanze nehme die im Bodenwasser gelösten Nährstoffe nur passiv auf, weiß man heute, dass bestimmte Pflanzenfamilien durch das Ausscheiden von Wurzelstoffen den pH-Wert in der Umgebung der Wurzeln anheben oder durch Säuren absenken. Tief wurzelnde Pflanzen wie etwa Lupinen lösen auf diese Weise die im Unterboden festgelegten Nährstoffe, nehmen sie auf und lagern sie in ihrem Spross und den Wurzeln ein. Nach dem Absterben der Pflanze lösen dann Bodenmikroorganismen die Nährstoffe aus den Pflanzenresten und reichern sie so in der Krume an.
 
 Boden als nachhaltiger Produktionsfaktor
 
Landwirtschaftliche Anbausysteme nutzen die unterschiedlichen Wirkungen der verschiedenen Pflanzenarten auf Bodenstruktur und -nährstoffhaushalt, indem sie tief und flach wurzelnde Pflanzen gleichzeitig (Gemengekultur) oder zeitlich nacheinander (Fruchtfolge) anbauen. Ein vielfältiger Anbau mit hohem Nährstoffentzug und hoher Rückführung von Biomasse sowie eine angepasste Bodenbearbeitung und Düngung können somit als Motor der Bodenfruchtbarkeit wirken, sodass die Prozesse im Boden in ihrer Intensität gesteigert werden. Richtig und zeitgerecht eingesetzt, regen landwirtschaftliche Maßnahmen die Dynamik im Ökosystem Boden an und erzeugen eine höhere Produktivität als im Naturzustand.
 
Die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens hängt in erster Linie von der Gunst des Standorts ab. Die Art des Ausgangsgesteins bestimmt die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Bodens, zum Beispiel die Versorgung mit Spurenelementen, aber auch die Tiefe des durchwurzelbaren Bodenprofils. Verschiedene Klimafaktoren wie die Höhe und die Verteilung der Niederschläge oder auch der Temperaturverlauf wirken sich primär auf die biologischen Prozesse im Boden aus und bestimmen damit die Länge der Vegetationszeit, während der die Kulturpflanzen überhaupt wachsen können.
 
 Wasser als Produktionsfaktor
 
Immer mehr Böden wurden in Kultur genommen, die wegen ihren ungünstigen Standort- oder Klimavoraussetzungen umso stärkerer Eingriffe des Menschen bei ihrer Nutzung bedürfen — und gerade dadurch aber ökologisch besonders sensibel sind. Hierzu zählen Hanglagen oder Starkregengebiete, die der Gefahr der Erosion ausgesetzt sind, ebenso wie Trockenregionen, die der künstlichen Bewässerung bedürfen und deshalb auch versalzungsgefährdet sind. Bewässerungslandwirtschaft wird derzeit auf 17 Prozent der weltweit bewirtschafteten Böden betrieben. Sie gerät aber ökologisch und ökonomisch zunehmend unter Druck.
 
Gerade in den Niedriglohnländern ist die Bewässerungslandwirtschaft der größte Wasserverbraucher. Sie verschlingt über 90 Prozent des verfügbaren Wassers, während die dortige Industrie nur etwa fünf und die Haushalte rund vier Prozent verbrauchen. Mit steigender Bevölkerungsdichte und industrieller Nachfrage können diese Sektoren in Zukunft höhere Wasserpreise bezahlen als die Landwirtschaft. Dies wiederum wird Folgen haben für die Ernährungssicherung: In einigen Bewässerungsregionen wird eine profitable Getreideproduktion nicht mehr möglich sein, zumal staatliche Subventionen zur Bewässerung zunehmend aus ökonomischen Gründen zurückgefahren werden.
 
Dr. Annette Piorr und Dr. Hans-Peter Piorr
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Landwirtschaft: Umweltprobleme
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Welternährung: Ernährungssicherung und Ertragsentwicklung
 
 
Handbuch zum Gewässerschutz in der Landwirtschaft, herausgegeben von Hans-Georg Frede u. a. Landsberg am Lech 21999.
 Oehmichen, Jobst: Pflanzenproduktion.2 Bände. Berlin u. a. 1983—86.
 Schug, Walter u. a.: Welternährung. Herausforderung an Pflanzenbau und Tierhaltung. Darmstadt 1996.

Universal-Lexikon. 2012.

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